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Gesundheit - 22.10.2018

Wie die Chemikalienwolke um uns herum unserer Gesundheit hilft

Jeder Mensch ist in seiner Umwelt täglich Tausenden Mikroben und Substanzen ausgesetzt – dem Exposom. Forscher wollen es jetzt entschlüsseln. So könnten sie Diabetes, Krebs, Allergien und Asthma vorbeugen. 0

Der Mensch lebt nicht für sich allein: Sein Körper kann mehr Bakterien enthalten als menschliche Zellen. Von außen prasseln zudem ständig gewaltige Mengen chemischer Moleküle, Mikroben, Strahlen und Partikel aller Art auf ihn ein. Sie beeinflussen, ob sich Allergien und Krankheiten entwickeln, und wirken sich sogar auf die Lebenserwartung aus. „Probleme wie Diabetes und Herzinfarkte werden zu rund 70 Prozent durch Umwelt- und Lebensstil-Faktoren bestimmt“, erklärt Annette Peters, Leiterin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München.

Von Geburt an atmet jeder Mensch Feinstaub ein, isst Pflanzenschutzmittel mit, nimmt Umweltgifte über die Haut auf. Gleichzeitig profitieren wir alle aber auch von etlichen, vielfach noch unbekannten Wechselwirkungen. Unser Erbgut mag zu einem großen Teil bestimmen, wie wir aussehen, an welchen Krankheiten wir leiden werden, wie lange wir leben. Die Umwelt hat aber ebenso einen großen Einfluss auf all das. Die vom Erbgut unabhängigen Einflüsse auf den menschlichen Körper beschreibt der Begriff „Exposom“.

„Das Exposom ist so interessant, weil wir seit einiger Zeit verstanden haben, dass die Umwelt auch unsere Gene verändern kann“, erklärt Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann von der Technischen Universität München. „Durch Faktoren aus der Umwelt werden Gene ein- oder ausgeschaltet.“ Epigenetik ist das Fachwort für diese Abläufe, die auch eine Erklärung dafür seien, warum bestimmte, vermeintlich genetisch bedingte Erkrankungen zunehmen.

Das Exposom liefert auch nützliches Wissen für die Therapie diverser Erkrankungen. Eine Studie am Münchner Lehrstuhl für Umweltmedizin hat gezeigt: Wer an der Hautkrankheit Neurodermitis leidet, bei dem ist die Diversität des Mikrobioms auf der Haut reduziert. Lehrstuhlinhaberin Traidl-Hoffmann: „Wenn wir wissen, welche Organismen bei gesunden Menschen auf welche Weise miteinander interagieren, können wir daraus neue Medikamente und Therapieformen entwickeln und so einen völlig neuen Ansatz in der Medizin schaffen.“

Die Wechselwirkungen zwischen Körper und Umwelt lassen sich kaum in Gänze erfassen. Zwar gebe es Messungen zu einzelnen Faktoren wie Luftverschmutzung, erklärt Michael Snyder von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien. Die Belastung einzelner Menschen mit biologischen und chemischen Stoffen sei aber noch nicht wirklich erfasst. „Niemand weiß, wie riesig das menschliche Exposom ist und was für Dinge sich darin finden.“

Zumindest die chemischen Substanzen und Mikroben, denen Menschen je nach Umgebung ausgesetzt sind, wollen die kalifornischen Forscher jetzt erfassen. In einem Versuch statteten sie 15 Männer und Frauen aus dem Raum San Francisco bis zu 890 Tage lang mit einem Gerät aus, das Partikel aus der Luft filtert. Dabei entdeckten sie ein Sammelsurium an Bakterien, Viren, Chemikalien, Pflanzenpartikeln und Pilzen.

Das streichholzschachtelgroße, am Arm getragene Gerät atmete eine Luftmenge ein, die etwa dem Fünfzehntel der Menge eines menschlichen Atemzugs entspricht. Etwa zweimal pro Woche wechselten die Forscher den Filter. Was die Membran auffing, analysierten die Forscher über chemische und Erbgut-Analysen. Für den Abgleich schufen sie eine Datenbank zu mehr als 40.000 Arten von Bakterien, Viren und Pilzen.

Unterschiede im Exposom gab es unter anderem abhängig von Region, Wetter, Jahreszeit. Sogar Eigenheiten des jeweiligen Haushalts – etwa Haustiere, Haushaltschemikalien oder blühende Pflanzen in Haus und Garten – hatten einen Einfluss, schreiben die Forscher im Magazin „Cell“. Sie fanden Spuren von Staub-, Haut- und Spinnmilben, von Mücken, Fliegen, Bienen und Kakerlaken – und von Viren, die in diesem Kleingetier vorkommen.

„Im Endeffekt haben wir alle unsere eigene Mikrobiom-Wolke, die wir mit uns herumschleppen und verteilen“, sagt Michael Snyder. Zu den Substanzen, die die Forscher in den Filterproben fast immer fanden, zählten das Insektenabwehrmittel DEET, das Pestizid Omethoat und krebserregend wirkende Stoffe wie Diethylenglycol. „Insgesamt lassen unsere Ergebnisse annehmen, dass wir ständig Tausenden Chemikalien ausgesetzt sind, oft an bestimmten Orten“, heißt es in der Studie.

Erkältungswellen könnten früher erkannt werden

Der Nachweis der Umweltgifte sei nicht überraschend, sagt Claudia Traidl-Hoffmann. „Viel zu lange haben wir unbesorgt giftige Substanzen in der Natur entsorgt, ohne anschließend für eine ausreichende Reinigung von Boden und Wasser zu sorgen.“ Umso wichtiger sei es nun, die molekularen Mechanismen zwischen Exposom und Mensch zu bestimmen.

„Das ist eine neue Forschungsrichtung, die sich gerade erst etabliert“, erklärt die Münchner Epidemiologin Annette Peters. „Die technischen Möglichkeiten dafür sind jetzt erst da.“ Die Analyse der US-Forscher zeige etwa sehr gut saisonale Unterschiede. „Möglich wäre, mit solchen Daten zu Viren Erkältungswellen früh zu erkennen.“ Spannend sei auch die Varianz je nach genutzten Innenräumen. „Da gibt es große Unterschiede abhängig von den dort verwendeten Farben und Baumaterialien.“

Für die Umweltmedizin biete der Ansatz neue Möglichkeiten, herauszufinden, welche Substanz bestimmte Symptome eines Patienten verursacht. Lebensmittelunverträglichkeiten zum Beispiel könnten über die Haut entstehen, erklärt Peters. Schwierig könne eine Abklärung gesundheitlicher Probleme durch zeitverzögerte Reaktionen sein, die erst Tage oder Wochen nach dem Kontakt mit einer Substanz auftreten. „Mit künstlicher Intelligenz werden sich da in den großen Datensätzen sicher viele neue Zusammenhänge erkennen lassen, von denen man bisher gar nichts wusste“, sagt die Expertin. „Da steht die Forschung ganz am Anfang, und im Moment sind die Analysen noch unheimlich teuer.“

Claudia Traidl-Hoffmann behandelt als Chefärztin der Umweltmedizin am Klinikum Augsburg seit Jahren Allergiepatienten. Die Studie unterstütze verschiedene Therapieansätze, sagt sie. Zum einen bestätige sie, wie divers und dynamisch sich Mikroben verhalten. Deshalb zielt die Medikamentenentwicklung derzeit darauf ab, diese Diversität zu erhalten beziehungsweise sie wiederherzustellen.“ Bedeutsam sei auch die Abhängigkeit des Exposoms vom jeweiligen Ort. „So konnten wir zeigen, dass der Aufenthalt in moderater Höhe eine langfristige Verbesserung der Gesundheit von schweren Fällen der Neurodermitis erwirkt, hauptsächlich über die geringere Belastung durch schädliche Umweltfaktoren wie Luftschadstoffe oder Allergene.“

Das Zusammenspiel von Umwelt und Gesundheit zu ergründen sei eine der großen wissenschaftlichen Herausforderungen, betont Traidl-Hoffmann. „Wie macht uns Umwelt krank – oder auch gesund? Und wie können wir in einer sich massiv wandelnden Welt gesund bleiben und eine Prävention für die großen Umwelterkrankungen wie Diabetes, Krebs, Allergien und Asthma schaffen?“

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