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Sport - 09.11.2018

Rassismus im Stadion bleibt ein Problem

Dunkelhäutige Spieler von Eintracht Frankfurt werden auf Zypern rassistisch beleidigt, die Brüder Kevin Prince und Jérôme Boateng beklagen fortdauernde Diskriminierung, auch in Deutschland. Was ist los in den Stadien?

Fans zeigen Flagge: Die große Mehrheit lehnt Rassismus ab

„Ich war über die faschistischen Zeichen und Bekundungen irritiert“, sagte Axel Hellmann, Vorstand von Eintracht Frankfurt, nach dem 3:2-Erfolg des Bundesligisten am Donnerstagabend im Europa-League-Spiel bei Apollon Limassol. Anhänger des Klubs aus Zypern hatten auf der Tribüne in Nikosia den Hitlergruß gezeigt und dunkelhäutige Spieler mit Affenlauten begleitet. 

Rassimus in vielen Stadien Osteuropas

Für Robert Claus, Buchautor und Experte für Rechtsextremismus im Fußball, kommen solche Vorfälle nicht überraschend. „Es gibt in allen europäischen Ländern Hooligan-Szenen, die größtenteils nach sehr weit rechts tendieren. Da sind solche Auswüchse an der Tagesordnung. Der politische Rechtsruck hat den rechten Hooligan-Gruppen in den letzten Jahren Aufwind gegeben.“

Aber es gibt regionale Unterschiede. „Länder, wo es über viele Jahre Probleme mit Rassismus in den Stadien gegeben hat, sind Italien mit dem bekanntesten Beispiel Lazio Rom und auch die Staaten Osteuropas wie Polen, die Slowakei oder Russland, wo diese Auswüchse wirklich verbreitet sind“,  sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte in Frankfurt. „Für Liga-Spiele in Deutschland wären solche Szenen wie jetzt auf Zypern überraschend, weil sich hier sehr viel zum Positiven entwickelt hat.“

Rechtsradikale Hooligans bei einem Pokalspiel in Russland

„Hegemonie der Rechten im Stadion gebrochen“

Es sei ein langer Prozess gewesen. „In den 1980er und 90er Jahren war Rassismus im Stadion wirklich hör- und sichtbar. Es war in der Szene en vogue. Wer sich dagegen gestellt hat, war deutlich in der Minderheit“, sagt Gabriel. „Diese Hegemonie der Rechten ist gebrochen worden. Heute ist es anders herum. Wer sich im Stadion rassistisch oder rechtsradikal äußert, widerspricht dem Konsens in der Kurve. Natürlich beobachten auch wir den Rechtsruck in der Gesellschaft, und dementsprechend finden sich auch heute im Stadion Besucher mit einem rechten und rassistischen Weltbild. Aber die Schwelle für diese Leute, sich im Stadion zu artikulieren, ist deutlich höher geworden.“

Affenlaute gegen Jerome Boateng

Jérôme Boateng: „Ich höre ich öfter, wie Zuschauer Affenlaute von der Tribüne brüllen“

Und doch weist Nationalspieler Jérôme Boateng aktuell darauf hin, dass das Problem auch in deutschen Stadien existiert. „Wenn ich mich am Rand des Spielfelds warm mache, höre ich öfter, wie Zuschauer Affenlaute von der Tribüne brüllen, obwohl ich für Deutschland so viele Spiele bestritten habe“, sagte Boateng in einem Doppelinterview mit dem Sänger Herbert Grönemeyer in Boatengs eigenem Magazin „Boa“. In Deutschland, dessen WM-Titel 2014 ohne Migrantenkinder nicht möglich gewesen wäre, wie Boateng betont, gebe es wieder stärker ausgeprägtes Denken in Schubladen: „Eine für die Deutschen, eine für die Migranten. Und die Deutschen, deren Eltern vielleicht ausländische Wurzeln haben und die nicht weiß sind, sich aber völlig deutsch fühlen, weil sie hier aufgewachsen sind, werden wieder skeptischer angeschaut.“

Auch Rechtsextremismus-Experte Robert Claus sieht ein gesellschaftliches Phänomen. Er rät dazu, in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Fankurve zu sehen. „Das Problem wird zu sehr auf die Ultra-Szene fokussiert“, sagt Claus. „Die schlimmeren Äußerungen, die ich im Stadion erlebt habe, kamen von der Haupttribüne. Das wird in der Debatte völlig vernachlässigt. Viele Ultragruppen haben in den letzten 20 Jahren einen starken Prozess der Selbstreinigung hinter sich, gerade was rassistische Äußerungen betrifft. Den haben die Haupttribünen noch vor sich.“ 

Vereine in der Pflicht

Michael Gabriel sieht auch die Klubs in der Pflicht, wenn Spieler wie Boateng rassistisch beleidigt werden. „Es bedrückt mich, wenn Boateng so etwas erlebt. Es ist unbedingt nötig, dass im konkreten Fall der FC Bayern sofort reagiert, wenn er davon erfährt und es nicht einfach hinnimmt.“ In den 1990er Jahren hätten die Klubs bei rassistischen Vorfällen in den Stadien noch oft den Standpunkt vertreten, dass es sie nichts angehe und sie nur für den Sport zuständig seien. „Sie sahen sich eher in der Opferrolle, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Auch das hat sich aber deutlich verändert.“

Workshops für Zivilcourage

„Einige Vereine wie der FC St. Pauli haben Anti-Rassismus schon lange in ihrer DNA. Dort engagiert sich die Fanszene seit 30 Jahren konsequent gegen Rassismus und hat auch ein Mitspracherecht im Verein. Bei anderen hat das länger gedauert“, erklärt Robert Claus. „Borussia Dortmund hat Anfang der 2010er Jahre angefangen, konsequent zu dem Thema zu arbeiten. Dort gibt es mittlerweile auch Workshops für Fans zum Thema Zivilcourage, um ihnen zu vermitteln, wie sie im Stadion gegen Rassismus einschreiten können.“

Initiativen gegen Diskriminierung haben mitgeholfen, ein anderes Klima zu schaffen

Doch auch bei den Vereinen gebe es noch viel Luft nach oben. „Der deutsche Fußball ist in Sachen Rechtsextremismus in den letzten Jahren sensibler geworden“, so Claus. „Inwieweit das PR- oder Marketingstrategien geschuldet ist oder auch wirklich hausintern gelebt wird, ist eine andere Frage. Bis auf Werder Bremen in Ansätzen hat kein einziger Bundesligist Vielfalt oder Antidiskriminierung ausdrücklich in seiner Personalpolitik verankert.“ 

Kampf gegen Pyrotechnik wichtiger als der gegen Rassismus?

Beide Fan-Experten geben Kevin-Prince Boateng Recht. Der Halbbruder von Jerome Boateng – in der vergangenen Saison noch Pokalsieger mit Eintracht Frankfurt, jetzt beim italienischen Klub US Sassuolo Calcio unter Vertrag – beklagt mangelnde Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierung: „Es kommt mir vor, als ob wir mehr gegen Pyrotechnik kämpfen als gegen Rassismus.“ Robert Claus weist auf das jüngste rigorose Vorgehen der Sicherheitskräfte in Dortmund gegen das Zünden von Pyrotechnik und Randale im Hertha-Gästeblock hin: „Ein ähnlich rabiates Einschreiten der Polizei gegen rassistische oder rechtsextreme Rufe im Stadion habe ich noch nie gesehen. Insofern ist an der Aussage Kevin-Prince Boatengs etwas dran.“

Kevin-Prince Boateng (r.) beklagt seit Jahren Rassismus in Stadien

Der gleichen Meinung ist auch Michael Gabriel. „In allen Bemühungen, Pyrotechnik aus den Stadien zu verbannen, wird übersehen, dass wir in Teilen gerade der jungen Hooliganszene verstärkt rechte Tendenzen haben. Es gibt eine internationale Vernetzung und Professionalisierung im Hooliganismus. Der zeigt sich gar nicht mehr so sehr im Stadion, sondern außerhalb, wie z.B. zuletzt in Chemnitz“, sagt der Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte. „Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Ich halte es für notwendig, dass die Polizei und alle Sicherheitsorgane nicht nur genauer hinschauen, sondern auch konsequenter agieren.“

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