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Wissen - 10.11.2018

Bei Frauen und bei Männern: Sexsucht ist viel häufiger als gedacht

Bei einer Sexsucht ist der Wunsch nach sexueller Befriedigung so groß, dass der oder die Betroffene sich immer mehr damit beschäftigt und dabei andere Dinge vernachlässigt.


Gibt es Sexsucht überhaupt oder ist das eher ein hochgehyptes Thema? Und wenn es sie gibt – wie häufig kommt sie vor? Forscher finden dazu überraschende Antworten. So etwa, dass besonders schlecht oder besonders gut verdienende Menschen häufiger Probleme hätten.

Deutlich mehr Menschen als bislang angenommen leiden darunter, dass sie ihr sexuelles Verlangen und Verhalten nur unzureichend kontrollieren können. Das berichten Forscher zumindest für die USA im Fachblatt "JAMA Network Open". Unter den Betroffenen seien wesentlich mehr Frauen als gedacht, zeigt die Befragung von mehr als 2300 Menschen. Fachleute sollten sich der hohen Zahl Betroffener bewusst sein und das Problem sorgfältig ergründen, um Behandlungsmöglichkeiten für Männer und Frauen zu finden. Diese Meinung teilt auch der deutsche Psychiater und Sexualmediziner Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover. Was die Zahlen zur Häufigkeit anbelangt, müsse man jedoch vorsichtig sein, sagt er.

Über "Sexsucht" wird in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert, oft in Zusammenhang mit – angeblichem – sexuellem Fehlverhalten von Prominenten. Ob es ein derartiges Problem aber überhaupt gibt und wie groß das Ausmaß ist – das ist unter Wissenschaftlern umstritten. Im Sommer dieses Jahres hatten sich Experten darauf geeinigt, "zwanghaftes Sexualverhalten" als psychische Störung anzuerkennen und in den internationalen Diagnoseschlüssel für Krankheiten aufzunehmen (ICD-11), der ab 2022 gelten soll. Damit können Ärzte eine entsprechende Diagnose stellen und eine Behandlung abrechnen.

Fragebögen zu Sexualverhalten und Gefühlen

Um eine bessere Kenntnis des Problems zu erlangen, werteten die Forscher um Janna Dickenson von der University of Minnesota in Minneapolis Fragebögen von insgesamt 2325 Männern und Frauen zwischen 18 und 50 Jahren aus. Die Teilnehmer gaben etwa an, wie oft sie sich schon unfähig gefühlt haben, ihr sexuelles Verhalten oder ihre Gefühle zu kontrollieren, wie häufig sie sich für ihr Verhalten geschämt haben oder dieses vor anderen verborgen haben, und wie oft sie mehr Sex hatten oder häufiger masturbiert hatten, als sie eigentlich wollten. Gemäß diesem Fragebogen gilt als klinisch auffällig, wer einen Punktestand von 35 oder darüber erreicht.

Die Auswertung ergab, dass insgesamt 8,6 Prozent der Teilnehmer diesen Wert erreichten. Bisher waren Experten von einer Häufigkeit zwischen 1 und 6 Prozent ausgegangen. Die Auswertung zeigte weiter, dass gut 10 Prozent der Männer und 7 Prozent der Frauen unglücklich im Bezug auf die Kontrolle des Sexualverhaltens sind. Die Geschlechtsunterschiede seien deutlich kleiner als bislang angenommen, schreiben die Forscher.

Eine Erklärung sei, dass sich etwa infolge der kulturellen Entwicklung und der gestiegenen sexuellen Selbstbestimmung der Frauen der Anteil von Frauen mit einer gestörten Impulskontrolle erhöht habe. Denkbar sei aber auch, dass das Problem in der Vergangenheit einfach übersehen wurde, weil eventuelle Auffälligkeiten bei Frauen anderen klinischen Beschwerden zugerechnet wurden, etwa einer bipolaren oder einer Borderline-Störung.

Soziokultureller Kontext spielt große Rolle

Die Wissenschaftler stellten weiter fest, dass Menschen mit geringerem Bildungsgrad, besonders schlecht oder besonders gut verdienende Menschen sowie ethnische und sexuelle Minderheiten häufiger von Problemen berichten. Das lege nahe, dass der soziokulturelle Kontext in dem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spiele. Die hohe Zahl der Betroffenen deute auf eine erhebliche klinische Bedeutung des Problems hin, das im Gesundheitssystem Beachtung finden müsse.

"Es gibt derzeit auch für Deutschland keine verlässlichen Zahlen zur Häufigkeit von Hypersexualität in der Bevölkerung", sagt Tillmann Krüger. Die recht hohe Häufigkeit, die die US-Forscher gefunden haben, müsse man mit Vorsicht betrachten. "Die Analysen der Wissenschaftler beruhen auf Fragebögen, mit denen sich eine gewisse Symptomstärke gut messen lässt. Für eine sichere Diagnose müsste sich aber eine Untersuchung anschließen."

Dennoch gebe die Studie wichtige Hinweise und zeige, dass das Thema eine erhebliche Relevanz habe. "Für die Betroffenen geht damit ein echter Leidensdruck einher", erläutert Krüger, der eine Sprechstunde zum Thema Sexsucht anbietet. "Das nimmt unheimlich viel Zeit in Anspruch, die Betroffenen sind etwa stundenlang im Internet oder besuchen entsprechende Etablissements." Das könne zu familiären Problemen führen. Häufig sorgten sich die Betroffenen aber auch, weil sie zum Beispiel auch am Arbeitsplatz nicht von ihren Gedanken loskämen.

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