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Kultur - 30.10.2018

Der ganze Abend hat etwas Untergeherisches

Am Montagabend wurde das 20-jährige Bestehen des Bundeskulturministeriums gefeiert. Staatsministerin Monika Grütters steht derzeit in der Kritik. Nur eine Person wirkt an diesem Abend heiter und gelöst: Angela Merkel. 0

Im eiskalten Herbstregen geht man gebeugten Hauptes Unter den Linden entlang, nur hin und wieder aus der Kapuze nach rechts lugend. Ein Prachtbau, ist das schon das Schloss? Ach nee, nur die Staatsoper. Man muss sich noch gewöhnen an diese neue Berliner Adresse, den herrschaftlichsten aller herrschaftlichen Bauten, das Schloss. Schließlich steht es da, apokalyptisch angestrahlt im Regen, zur Hälfte noch umkleidet von seinem termitenbauartigen Gerüst. Die Humboldt-Box ist noch geöffnet, ein paar Schritte weiter schleusen einen die freundlichen Ordner schnell hinein in das neue Foyer. Man muss sich beeilen, um viertel vor sieben, so stand es auf der Einladungskarte, sollen die Gäste ihre Plätze eingenommen haben.

Es ist ein historischer Abend. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat eingeladen, mit ihr das zwanzigjährige Bestehen des Bundeskulturministeriums zu feiern. Aber es ist der Abend des Tages, an dessen Morgen die Erschütterung von Merkels Aufgabe des Parteivorsitzes durch Deutschland und die Welt ging. Im grellen Licht des Schlosshofes, im eisigen Luftzug, der trotz der Heizstrahler nach Knöcheln und Schultern greift, bei diesem Kulturelitenevent mit Häppchen, Sekt und warmem Büfett, überkreuzen sich die Linien der Gegenwart aufs Interessanteste.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundeskanzlerin Angela Merkel schätzen einander sehr, und das ist der erste Moment, der berührt, als Grütters am Ende ihrer Begrüßungsrede innehält und sagt: „Liebe Frau Merkel, verehrte Bundeskanzlerin“, in einem Tonfall, in dem so etwas wie Ehrfurcht widerhallt, aber auch Rührung, Erstaunen über das So-Sein der Situation. Und man selber sitzt da und versteht erst in diesem Moment so richtig, dass Angela Merkel – natürlich, wie sollte es anders sein – da unten in der ersten Reihe sitzt, wenige Stunden nachdem sie eine Rede gehalten hat, die in die Geschichtsbücher eingehen wird und hoffentlich auch in unsere Vorstellung dessen, was Größe ist. Auch Merkel wird noch eine Rede halten.

Der Anlass aber ist das zwanzigjährige Bestehen des Bundeskulturministeriums, des „kreativen Coups“ von Gerhard Schröder, wie es die ehemalige Amtsinhaberin Christina Weiss (sie war von 2002 bis 2005 Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) in einem Videoeinspieler formuliert. Der kreative Coup bestand darin, dass Schröder 1998 das Bundeskulturministerium schuf, es dem Kanzleramt angliederte und Kultur somit zur Bundessache machte, sie, wie es Michael Naumann, erster Amtsinhaber, im selben Einspieler sagt, von den „Querelen des Föderalismus“ befreite.

Zu viel Macht?

Im Amt des Kulturstaatsministers bündelt sich sehr viel Macht. Und in Bezug auf die aktuelle Kulturstaatsministerin – der Titel ist ihr wichtig – Monika Grütters ist manch einer der Meinung, sie habe zu viel davon. Einige Tage vor dem Festakt ist in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Artikel über sie erschienen, der es in sich hat; er schwebt über diesem Abend.

Der Autor hat sich mit verschiedenen Menschen getroffen, deren Institutionen von den Geldern des BKM abhängig sind und die allesamt anonym bleiben wollten, als ginge es – den Vergleich macht der Artikel auf – um Waffengeschäfte. Aufgrund seiner minutiösen Recherche kommt er zu dem Schluss, Grütters habe ein Machtimperium aufgebaut, ein Geflecht der Abhängigkeit geschaffen, das nicht nur Berlin intellektuell lähme, sondern auch ihr selbst schade und für den Fall einer Amtsübernahme durch die AfD Strukturen bereitstelle, die es ihr einfach machen würden, den Berliner Kulturbetrieb „ideologisch auf Linie zu bringen“.

An diesen Artikel muss man an diesem Abend denken, nicht weil er eine Billardkugel im Machtspiel der Hauptstadtpolitik ist (auch das ist er natürlich), sondern weil er zu dieser anderen, lästigen Frage führt, die man eigentlich gar nicht stellen will, sie lautet: Würde man so auch über einen Mann schreiben? Man will die Frage deswegen nicht stellen, weil sie in gewissem Sinne müßig ist. Grütters ist der Mensch, der sie ist, als Frau. Merkel ist der Mensch, der sie ist, als Frau. Beide darf und muss man natürlich kritisieren. Der Fall eines Herrn Grütters, der sich ein ähnliches Machtimperium aufgebaut hat und der – das ist die implizite Vermutung, sie scheint trotz allem plausibel – nach anderen Maßstäben beurteilt werden würde, muss hypothetisch bleiben. Von dem es vielleicht hieße, er greife hart durch, an den man vielleicht nicht die Sorge herantragen würde, er schade sich selbst.

So oder so: Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind an diesem Abend zwei Frauen an einer Schnittstelle der Geschichte, zwei Frauen, deren Machtfeld sich gerade verändert, zwei Frauen, denen, wenn sie kritisiert werden, Ähnliches vorgeworfen wird: dass sie, weil sie zu viel Macht hätten, andere lähmten. Man kann sich fragen, wie viel Nicht-ertragen-Können weiblicher Autorität in dieser empfundenen Lähmung liegt.

Weimarer Republik als Soundtrack

Das Geschlechterthema zieht sich durch den Abend: Michael Naumann in seiner Videobotschaft will einmal etwas über „ihn“, also „den Kulturstaatsminister“ sagen und korrigiert sich selber: „Oder sie, muss man ja sagen!“ Dabei muss er prustend lachen, und das ist irgendwie eine ulkig-sympathische Szene, weil sie wirkt, als hätte der ältere Herr gerade das Frauenwahlrecht entdeckt und wäre nun besonders stolz darauf, als einer der Ersten die Frauen überhaupt mitzudenken. Nachdem Max Raabe mit dem Palast Orchester aufgetreten ist, tritt Grütters noch mal auf die Bühne und sagt, sie habe sich besonders gefreut, dass es eine erste Geigerin (Cecilia Crisafulli) gebe, die den Ton angibt.

Warum man in Zeiten der Kanzlerdämmerung mit Max Raabe und dem Palast Orchester für dieses Event ausgerechnet einen Musikerverband ausgewählt hat, der damit wirbt, das einzige Orchester zu sein, das weltweit die Musik der Weimarer Republik präsentiert, bleibt rätselhaft. Der ganze Abend hat etwas Untergeherisches. Der Journalist Volker Weidermann hält eine Rede, in der er Angela Merkel zur Erbin Kurt Eisners erklärt und die Grenzöffnung von 2015 zum „wunderbaren Fehler“. Er verflucht Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ als „Unheilsbuch“, man solle sich besser an Ernst Blochs Geist der Utopie halten.

Nur Angela Merkel, als sie dann auf die Bühne tritt, wirkt heiter, gelöst. Sie hält ihre Rede, in der sie sogar einen Witz über Berliner Großbaustellen unterbringt. Sie bekommt anhaltenden Applaus. Sie geht wieder hinunter und setzt sich neben Monika Grütters.

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