Home Kultur Die starken Frauen der Clans sind Fiktion
Kultur - 26.10.2018

Die starken Frauen der Clans sind Fiktion

Die Berliner Gangster-Serie „4Blocks“ wird für ihre Realitätsnähe gefeiert. Für ihre weiblichen Figuren stimmt das nur bedingt – auch in der zweiten Staffel, die gerade anläuft. Dabei böten sie die Chance, etwas wirklich Neues zu schaffen. 0

Das „Golden Dolls“ ist ein Stripklub mitten in Berlin; er sieht aus, als hätten ihn die 90er-Jahre hier liegen lassen. Schwarze Schaufenster, sehr viel rote Beleuchtung in den Innenräumen. In der realen Welt ist er ein Hotspot des Junggesellenabschiedstourismus, die Galeriebesucher von nebenan finden ihn pittoresk, und der Straßenstrich ein paar Straßen weiter ist ziemlich weit weg. In einer fiktiven Welt aber gehört das „Golden Dolls“ den Hamadys, einem libanesischen Clan, der Berlin terrorisiert und Prostitution zu seinen Geschäftsfeldern zählt, neben Drogenhandel und Schutzgelderpressung. Diese Welt heißt „4Blocks“ und ist eine der erfolgreichsten deutschen Serien der letzten Jahre.

An einem Tag im Oktober ist das „Golden Dolls“ irgendetwas zwischen diesen Welten, das Filmteam der Serie ist aus München angereist und hat Kameras und Müsliriegel mitgebracht. Die Schauspieler kommen auch, viele wohnen in Berlin, Kida Khodr Ramadan etwa, der in „4Blocks“ den Gangsterboss „Toni“ spielt, oder der Rapper Massiv, der in der Serie sein Schwager ist; sie werden live für ihre Fans auf Facebook vor der Kamera stehen. „Die Hamadys selbst!“, so steht es schon Stunden zuvor aufgeregt auf der Seite. Aber erst kommen andere irgendwie Beteiligte. Zum Beispiel: „die Frauen“. Also die Schauspielerinnen der Serie. Streng genommen sind die natürlich mindestens so sehr Hamadys wie die Männer. Aber „4Blocks“ ist unter anderem eine klassische Gangsterserie, und dass Frauen dabei vor allem als Dekoration vorkommen, wäre genretypisch: Sie sind die schweigenden Mitwisserinnen, die sich um Heim, Herd und Nachwuchs kümmern, Teil der Kulissen, in denen die harten Männer nach dem harten Geschäft der Kriminalität sekundenlang auch mal nette Papis sein dürfen.

Polizeibericht und Drehbuch nähern sich an

Einerseits. Andererseits ist es etwas komplizierter.

Es ist sehr viel über „4Blocks“ gesprochen worden, seit die erste Staffel im vergangenen Jahr ausgestrahlt wurde; nun ist gerade die zweite angelaufen. Die Serie hat einige Preise gewonnen, sie ist von der Kritik bejubelt worden. Und sie hat einige Leute verärgert, zum Beispiel Ermittler der Berliner Polizei. Beides hat damit zu tun, dass die Serie eine komplizierte Beziehung zu Fiktion und Realität unterhält. Bejubelt wurde „4Blocks“ dafür, dass sie etwas Neues versuche und endlich mal eine echte deutsche Gangsterserie sei, die mitten aus einem Milieu erzählt: dem der arabischen Clans in Berlin-Neukölln. Aus der Perspektive derer, um die es da geht. „Nah dran“, „real“, authentisch eben.

Kritisiert wurde „4Blocks“ dafür, dass sie Gewalt verherrliche und in dem Bemühen, Hintergründe zu beschreiben – Flucht in die Kriminalität mangels Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltstitels etwa –, zu viel Verständnis aufbringe. Und dass sie Gangsterfiguren zu Popstars mache. Und die Sache ist nicht eben einfacher geworden, seit die reale Situation mit den Clans in den vergangenen Monaten eskalierte. Polizeibericht und Drehbuch schienen sich immer mehr anzunähern.

Aber was haben die Frauen damit zu tun? Exakt nichts. Und womöglich verlaufen gerade deshalb bei diesen Frauenfiguren die tatsächlichen Grenzen in Sachen Realität und Fiktion. Im „Golden Dolls“ treten an diesem Tag drei sehr gut gelaunte Frauen vor die Kameras, also praktisch fast alle, die in der Serie mitspielen: Maryam Zaree, die die Frau des Gangsterbosses gibt, Karolina Lodyga, die seines Bruder, und die Rapperin Eunique, die erst in der zweiten Staffel auftaucht. Almila Bagriacik, die die Schwester der Hamadys spielt, ist schon wieder beim nächsten Dreh, sie ist wie die anderen ziemlich viel beschäftigt, seit Kurzem auch Ermittlerin im Kieler Tatort.

Es ist von Anfang an durchaus viel über die Frauenfiguren der Serie gesprochen worden – und meistens so wie auch an diesem Tag als: die „starken Frauen“. Das sagten auch die Männer immer wieder, die produzierten, Regie führten und die Drehbücher schrieben, fast ein bisschen pflichtschuldig.

Und es stimmt, im Rahmen ihrer Hintergrundfigurenaktivität sind sie stark und durchaus die Einzigen, denen man zutraut, diese testosteronstrotzenden Männer in den Griff zu bekommen: Die Frau des Gangsterbosses, die ihn in selbstbewussten Auftritten beinahe dazu bringt, die Kriminalität hinter sich zu lassen, und ihn in der Familienwohnung zum Staubsaugen einteilt. Ihre Schwägerin, die schon nach wenigen Folgen plant, mit dem deutschen V-Mann durchzubrennen und ihren Mann im Gefängnis sitzenlässt. Oder die Freundin des brutalsten Hamady, die ihm mit der gleichen Aggressivität antwortet, mit der er prinzipiell seiner Umwelt begegnet. Ja, sie wird dafür bisweilen mit kräftigen Schlägen betraft. Ja, als sie sich darüber bei der Familie beschwert, versteht die das Problem natürlich nicht, weil Schläge gegen Frauen doch normal sind. Und, ja: Die eine belehrt die anderen schon mal, dass sie in jeder Lage ihrem Mann beistehen müssten. „Die brauchen uns. So funktioniert das.“ Aber heikler wird es zunächst nicht.

Und das hat vermutlich wenig mit der klaustrophoben Realität der Frauen zu tun, um die es hier geht. Das geben selbst die Drehbuchautoren zu. Diese Figuren seien eher fiktiv, sagt etwa Bob Konrad, der an der Serie mitschrieb: „Die findet man so sicherlich sehr selten.“ Ganz genau kann er das nicht sagen, denn so dicht ist niemand an die Frauen herangekommen. Die Autoren der Serie haben oft geschildert, wie sie jahrelang recherchiert haben, wie sie mit Anwälten, Politikern, Polizisten in Neukölln gesprochen haben, schließlich auch mit Leuten, die jemanden kannten, der jemanden kannte im Milieu.

Das Schicksal der Frauen: Nichts für Instagram

Deren Frauen kamen dabei selten unmittelbar vor. Es gab dann unter anderem Frauenvereine, die sie beraten haben. Die berichteten, was ihnen im Alltag begegnete: dass die selbstbewusste Frau des Gangsterbosses plötzlich vor dem brutalen Alltag ihres Mannes in die Religion flüchtet und unter ein Kopftuch – nicht selten, nicht nur in Neukölln. Dass die teilresolute Schwester für ihren Fluchtversuch später mit überwachtem Hausarrest bestraft wird – Alltag. Dass es eine Co-Abhängigkeit gibt, die sie von der Flucht schließlich abhält – eine häufig gehörte Geschichte. Details, die von einer sehr viel brutaleren Realität erzählen, die sich nicht so gut für Instagram fotografieren lässt. Eine Realität, von der die Schauspielerinnen ziemlich weit entfernt sind. Anders als die der männlichen Schauspieler: Es sind dabei einige, die für die Serie zum ersten Mal vor der Kamera stehen, Rapper, deren Freunde, Leute, die sich in Neukölln auskennen.

In den Lebensläufen der Schauspielerinnen stehen renommierte Schauspielschulen, sie haben in einigen Filmen mitgespielt, sie wissen, was sie da machen. Und sie können es, auch deswegen sind ihre Figuren stark. Sie sind nicht in Deutschland geboren, was im Grunde nur deshalb von Bedeutung ist, weil natürlich nach ihrer Biografie gefragt wird und damit auch danach, ob sie für ihre Rollen aus dem eigenen Leben schöpfen können. Die Antwort fasst die Schauspielerin Maryam Zaree gut zusammen: Null. Bildungsbürgertum statt Getto.

Begrüßung als „Gangsterbraut“

Als die Serie vor einigen Monaten mit Grimme-Preisen ausgezeichnet wurde, war Maryam Zaree auf der Bühne dabei, sie lächelte freundlich über die Moderatorin hinweg, die sie als „Gangsterbraut“ begrüßte, und sie bedankte sich für einen Satz der Jurybegründung: Das Potenzial der Frauenfiguren, so hieß es da, sei nicht ganz ausgeschöpft worden.

Mit den neuen Folgen wird es um einiges brutaler in der fiktiven Welt der „4Blocks“, auch für die Frauen. Womöglich rückt die Serie damit näher an die Realität. Womöglich neigt sie noch mehr zur Gangsterfolklore. Was Maryam Zaree an dem Abend noch sagte und so ähnlich auch Monate später im „Golden Dolls“: dass sich nichts ändere, wenn sich die Strukturen nicht ändern, in denen Autorinnen und Regisseurinnen und Filmemacherinnen zu selten vorkommen.

Wenn „4Blocks“ anfangen würde, aus der Perspektive der Frauen zu erzählen – dann würde sie tatsächlich zu einer richtig neuen Gangsterserie werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

Landtagswahl Sachsen: Was Sie über die Wahl wissen müssen

Michael Kretschmer: Sein Ziel ist, dass die CDU im Freistaat an der Macht bleibt. (Quelle:…