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Kultur - 18.11.2018

„Ich bekomme Hass-Mails. So what!“

Sie ist die älteste Tochter von Johnny Cash und selbst eine Country-Ikone. Ein Gespräch mit Rosanne Cash über ihren Kampf gegen die Waffenlobby, Superheldinnen und Journalisten, die wie Ritter sind 0

Auf Instagram hat sie kürzlich ein Foto aus längst überwunden geglaubten Zeiten gepostet. Es zeigt die Folklegende Woody Guthrie Anfang der 40er-Jahre – Guthrie mit Gitarre, auf die er einen Spruch geklebt hat: „This Machine kills Fascists“. Es war eine Kampfansage an Nazi-Deutschland unter Hitler. Rosanne Cash hat das Foto kurz vor den amerikanischen Midterm-Wahlen veröffentlicht. Als sich die Countrymusikerin per Skype aus ihrer Wahlheimat New York meldet, ist sie froh, dass gerade dieses Bild jemandem aufgefallen ist – und sie nicht gleich wieder über ihren berühmten Vater reden muss.

Ihr neues Album „She Remembers Everything“ befasst sich nicht nur mit der eigenen Sterblichkeit, mit persönlichen Traumata oder der Gleichberechtigung. Viele Songs sind darüber hinaus subtile Kommentare zu Anfeindungen, denen vor allem Frauen in der Trump-Ära ausgesetzt sind. Leben wir wieder in Zeiten, in denen sie ihre Gitarre, wie einst Woody Guthrie, als Waffe einsetzt? Da überlegt sie einen Moment. „Ich will, dass meine Musik die Menschen herausfordert, sie zum Nachdenken bringt und ihnen hilft, ihr Leben zu reflektieren“, sagt sie, „allein das ist schon ein subversiver Akt.“

WELT AM SONNTAG: Miss Cash, Sie haben 2012 für die Tourismusagentur Brand USA den Song „Land Of Dreams“ geschrieben. „Come and find your land of dreams“, heißt es darin, „and it’s closer than it seems“. Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie Sie reagieren würden, wenn Sie heute einen offiziellen Song für Amerika schreiben sollten?

Rosanne Cash: Es macht mich sehr traurig, wenn ich heute an diesen Song denke, den ich damals mit meinem Ehemann John Leventhal geschrieben hatte. Wir wollten darin die unterschiedlichsten Menschen in den USA willkommen heißen. Es geht darin um Gleichberechtigung, um Toleranz, eine offene Gesellschaft. Im Video dazu sah man Muslime, ein schwules Paar, ganz unterschiedliche Menschen eben, die für die Vielfalt Amerikas stehen. All das hat sich sehr verändert. Heute geht es um Mauern, darum, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren und Menschen außen vor zu halten. „Land Of Dreams“ klingt wie ein Lied aus einer vergangenen Zeit.

WELT AM SONNTAG: Bei den Midterm-Wahlen haben Sie, ebenso wie Countrylegende Willie Nelson, in Texas den demokratischen Kandidaten Beto O’Rourke unterstützt. Nelson wurde dafür von vielen Fans im Netz angegriffen.

Cash: Diese Entwicklung macht mir Angst. Die Art und Weise, in der Willie Nelson jetzt als Radikaler öffentlich getadelt wurde, weil er einen Politiker der Demokraten unterstützte – das ist einfach verrückt. Ich erinnere mich noch an Zeiten, als Demokraten und Republikaner immerhin noch miteinander sprachen. Als sie unterschiedliche Meinungen noch mit Respekt austrugen. Das passiert schon lange nicht mehr.

Taylor Swift ist der große Abräumer Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Sie ist nicht nur die erfolgreichste weibliche Preisträgerin der Awards, sondern mischt sich auch zunehmend in die US-Politik ein.

WELT AM SONNTAG: Sie sind einer der größten Stars der Countryszene, die in weiten Teilen immer noch als sehr konservativ gilt. Ähnlich wie Willie Nelson ernten auch Sie für Ihre kritischen Songs und Kommentare viel Kritik und Hass. Was macht das mit Ihnen?

Cash: Ich bekomme Hass-Mails, werde in den sozialen Netzwerken beschimpft. In besonders schlimmen Fällen habe ich auch schon mal das FBI kontaktiert. Aber solange es nicht ernsthaft bedrohliche Ausmaße annimmt, sage ich: so what! Ich bin jetzt 63, zu alt, um mich über Kritik oder Shitstorms noch ernsthaft aufzuregen. Was können Leute, die nicht meiner Meinung sind, schon machen? Meine Alben nicht mehr kaufen? Okay, das ist ihr gutes Recht. In den vergangenen 15 Jahren ist die Countryszene noch konservativer geworden. Viele Countrymusiker haben heute oft Angst zu sagen, wofür sie stehen. Es sei denn, es geht um die NRA.

WELT AM SONNTAG: Die Waffenlobby National Rifle Association.

Drei Millionen Amerikaner tragen täglich geladene Waffe bei sich Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Nach einer Studie aus dem Fachblatt „American Journal of Public Health“ tragen rund drei Millionen US-Bürger täglich eine geladene Schusswaffe bei sich. Rund neun Millionen Amerikaner bewaffnen sich mindestens einmal im Monat.

Cash: Ja. Als Taylor Swift kürzlich ihre Unterstützung für den demokratischen Senatskandidaten Phil Bredesen bekannt gab, hat das ja auch, wie bei Willie Nelson, eine Riesenwelle ausgelöst. Man kann sich nicht vorstellen, was für Angriffe sie dafür einstecken musste. Selbst in einigen Nachrichtensendungen wurde sie dafür kritisiert. Verrückt.

WELT AM SONNTAG: Apropos NRA: In Ihrem neuen Song „8 Gods of Harlem“ beschreiben Sie die Folgen von Waffengewalt in den USA und werden dabei von Kris Kristofferson und Elvis Costello unterstützt, mit denen Sie ja schon früher zusammengearbeitet hatten.

Cash: Wir kennen uns seit Langem.

WELT AM SONNTAG: Kommen Sie sich da nicht vor wie im Comic, wenn sich die Superhelden in der Gerechtigkeitsliga versammeln, um gegen das Böse zu kämpfen?

Cash: Hahaha. Kris, Elvis und ich in der Gerechtigkeitsliga – nach all dem, was ich mir sonst so anhören muss, ist das mal ein Vergleich, der mir gefällt. An welche Superheldenrollen hatten Sie denn für uns gedacht?

WELT AM SONNTAG: Na ja, Sie selbst könnten die singende Wonder Woman sein, Kristofferson wäre Batman. Bei Costello müsste ich kurz überlegen – die Grüne Laterne?

Cash: (lacht) Das muss ich nachher unbedingt meinem Sohn erzählen. Wir hatten tatsächlich so was Ähnliches im Sinn, allerdings eher eine Art gesungenes Theaterstück. Das Lied handelt davon, was Waffen Menschen antun. Ich singe aus der Perspektive einer Mutter, Kris aus der des Vaters, Elvis aus der eines Bruders. Wir haben den Song bereits 2008 geschrieben. Ich erholte mich damals gerade von einer Kopfoperation, fühlte mich noch schwach, lag nur auf meinem Sofa. Da kam mir diese Idee, dass wir zu dritt diesen Song schreiben sollten. Wir haben ihn innerhalb weniger Stunden geschrieben und dann an einem Tag sofort aufgenommen. Der Song ist also lange vor Trumps Präsidentschaft entstanden. Kurz nachdem Obama gewählt wurde und noch alle voller Hoffnung waren. Einerseits war es eine ganz andere Zeit. Andererseits war Waffengewalt schon damals ein großes Problem. Ich weiß, wovon ich rede, ich engagiere mich nun schon seit mehr als 20 Jahren in dem Bereich, fordere strengere Reglementierung von Waffenbesitz.

WELT AM SONNTAG: Auch Ihre Countrykollegin Carrie Underwood hat in einem neuen Song über die Opfer von Waffengewalt gesungen. Über das politische Engagement von Taylor Swift und Willie Nelson sprachen wir schon. Ist die Countryszene nicht liberaler geworden?

Warum dieses Massaker nichts am Waffengesetz ändern wird Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Waffen sind tief in der US-Gesellschaft verwurzelt, das Recht auf den Besitz seit 1791 in der Verfassung verankert. Bei der Jahresversammlung der National Rifle Association versprach Trump, die Waffenlobby „nie im Stich zu lassen“.

Cash: Ich weiß nicht. Nachdem ein Amokschütze 2017 58 Menschen auf einem Countrykonzert in Las Vegas erschossen hatte, schrieb ich einen Gastkommentar für die „New York Times“. Ich forderte andere Countrymusiker darin auf, sich endlich von der NRA zu distanzieren. Denn die NRA hat die Community der Countrymusik infiltriert – mit dieser falschen Vorstellung, dass Waffen und Patriotismus zusammengehören. Ich appellierte in der „Times“ also an meine Kollegen, das Problem anzusprechen. Niemand ist damals meiner Aufforderung gefolgt. Keiner hat sich vorgewagt. Nicht einer. Das hat mich schockiert.

WELT AM SONNTAG: Sie schreiben seit Jahren Essays und Kommentare für die „New York Times“. Haben Sie dabei etwas über den Journalismus gelernt, das Sie vorher nicht wussten?

Cash: Das zwar nicht. Aber die Arbeit für die „New York Times“ hat mich in meiner Wertschätzung für den Journalismus noch mal bestärkt. Es ist eine Ehre. Ich habe großen Respekt für Journalisten. Ich bin in der Watergate-Ära aufgewachsen. Damals waren Journalisten die Ritter in glänzenden Rüstungen. Für mich als Teenager waren sie die Guten, ein Fundament unserer Demokratie. Es schmerzt, wenn ich jeden Tag aufs Neue mitanhören muss, mit welchen Tiraden der Präsident sie verletzt, beschimpft und herabwürdigt. Ich finde das sehr gefährlich.

CNN verklagt Weißes Haus wegen Aussperrung von Reporter Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Der Nachrichtensender CNN hat das Weiße Haus wegen der Aussperrung seines Reporters Jim Acosta verklagt. Der Sender fordert, dass Acosta seine Akkreditierung sofort zurück erhalten soll.

WELT AM SONNTAG: Auf Ihrem Album beschäftigen Sie sich auch mit anderen brisanten Themen. Der Titelsong heißt „She Remembers Everything“, das kann man als Drohung, aber auch als Ausdruck einer Wertschätzung verstehen.

Cash: Es ist vor allem eine ernste Warnung an denjenigen, der einer Frau etwas antut, wobei sie ihm klarmacht, dass sie das nicht vergisst – aber es hat eben auch noch eine andere Ebene, ist verbunden mit Erinnerungen an einen Menschen, den man liebt. Auch dieses Lied hatte ich bereits geschrieben, bevor die #MeToo-Bewegung aufkam. Es scheint, als hätte ich mit dem Song einen Zeitgeistmoment getroffen.

WELT AM SONNTAG: „Who knows who she used to be before it all went dark“, singen Sie. Auch Christine Blasey Ford hat sich neulich vor dem Justizausschuss des US-Senats an dunkle Momente ihrer Jugend erinnert, als Brett Kavanaugh, Trumps Kandidat für den Obersten Gerichtshof, versucht haben soll, sie zu vergewaltigen. Kavanaugh bekam den Posten dennoch – auch dank der Unterstützung durch #HimToo, der Gegenbewegung zu #MeToo, die ungerechtfertigte Vergewaltigungsvorwürfe anprangert. Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Im Aufzug knöpfen sich die Frauen den Senator vor Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Der Senator Jeff Flake steht in einem Aufzug – vor ihm zwei Aktivistinnen, die aufgebracht auf den Republikaner einreden. Buchstäblich mit dem Rücken zur Wand, versucht Flake den Fragen auszuweichen.

Cash: #HimToo ist doch nur eine Konstruktion der Rechten. Und nur weil es dazu ein Meme auf Twitter gab, heißt das noch lange nicht, dass es eine Bewegung ist. Ich hätte nie geglaubt, dass Kavanaugh damit durchkommen würde. Es hat mir das Herz gebrochen. Ich habe vier Töchter. Während Kavanaugh sich im Fernsehen vor dem Justizausschuss rechtfertigte, rief mich eine von ihnen weinend an: „Mum, ich habe Magenschmerzen, all das setzt mir körperlich zu.“ Mir ging es genauso. Als die Republikaner Kavanaugh dann rammbockartig durchsetzten, war das eine der größten Entmutigungen, die ich je erlebt habe. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich dieses Land derart zurückentwickelt. Aber so ist es.

WELT AM SONNTAG: Haben Sie sich je gefragt, wie Ihr Vater die Ära Trump beurteilen würde?

Cash: Ich bin sehr vorsichtig, wenn ich in seinem Namen spreche. Das macht mich immer sehr wütend, wenn andere das tun, vor allem wenn es Menschen sind, die ihn gar nicht kannten. Ich weiß, wie mein Vater über den Irakkrieg und über Waffengewalt dachte. Er schätzte Menschen, die ehrlich und integer waren, setzte sich für Arme, Unterdrückte, für Minderheiten oder amerikanische Ureinwohner ein. Wenn Sie all das, wofür mein Vater leidenschaftlich einstand, zusammenzählen und dem gegenüberstellen, was zur Zeit in Amerika passiert – dann können Sie daraus Ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.

WELT AM SONNTAG: In Ihrer Autobiografie haben Sie mal geschrieben, Sie hätten sich Ihrem Vater stets sehr nahe gefühlt, ihn schon als Teenager auf dessen Tourneen begleitet. Rebelliert man in dem Alter nicht gegen seine Eltern?

Cash: Schon. Nur habe ich nicht in einer Weise rebelliert, wie man es normalerweise von Teenagern erwarten würde. Diese Über-die-Stränge-Schlagen, was Teenager ja ausleben, war für mich weniger interessant. Denn das hatte mein Vater ja alles schon gemacht. Damit hätte ich ihn also nicht wirklich schockieren können.

WELT AM SONNTAG: War das gut oder schlecht?

Cash: Es war gut. Von meiner Mutter hatte ich mich in jenen Jahren zwar genauso distanziert, wie es andere Teenager eben auch machen. Bei meinem Vater war es anders. Wenn ich mich von ihm abgrenzte, geschah das viel subtiler. Das hatte dann meistens mit der Musik zu tun, die später auch mein Beruf wurde. Meine Rebellion bestand dann darin, dass ich Wertschätzung für mich und meine Arbeit wollte – und zwar losgelöst von ihm.

WELT AM SONNTAG: Dennoch schien Ihnen gleichzeitig die Verbundenheit zu Ihrem Vater sehr wichtig zu sein. In Ihren Memoiren schreiben Sie von einem denkwürdigen gemeinsamen Konzert in New York 1994. Sie hätten sich ihm nie näher gefühlt als in jenem Moment, als sie auf der Bühne der Carnegie Hall gemeinsam im Rampenlicht standen – vor Tausenden von Zuschauern. Können Sie das erklären?

Cash: Das mag für Außenstehende zwar seltsam klingen, aber für meinen Vater und auch für mich war es das nicht. Er hat sich auf der Bühne nie bloßgestellt gefühlt. Dort oben und in der Musik zeigte sich seine beste Seite. In den Konzerten konnte er viele seiner Probleme bewältigen. Weil er diese sehr tiefe Verbundenheit mit seinem Publikum empfand. Auf der Bühne konnte er entschlacken, die Dinge ins Reine bringen. Dieses Geben und Nehmen, dieser Austausch mit dem Publikum war für ihn immer ein heilsamer Prozess. Ich habe das gut nachempfinden können. Und dieser gemeinsame Auftritt in New York war besonders intensiv, ich genoss es, dass ich diesen Moment mit ihm teilen konnte. Er und ich dort oben auf der Bühne, zusammen. Es war sehr kraftvoll.

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