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Kultur - 16.11.2018

Was Ehrenmann Bushido mit Goethes Faust verbindet

Immer wieder wird kritisiert, das angebliche „Jugendwort des Jahres“ sei uralt. Diesmal stimmt es sogar. Die Jury hat jetzt einen Ausdruck gekürt, den es seit mindestens 500 Jahren gibt. 0

Aufatmen bei Puristen und Nostalgikern: Zum ersten Mal seit längerer Zeit hat kein Ausdruck aus Migrantensprachen wie Babo oder keine scheinbar grenzdebile Sprachverhunzung wie I bims den Titel „Jugendwort des Jahres“ errungen, sondern ein altertümlicher, seit mindestens einem halben Jahrtausend im Deutschen nachweisbarer Begriff: Ehrenmann beziehungsweise Ehrenfrau.

Ein Schmuckwort nicht nur für Männer

Eine vom Langenscheidt-Wörterbuchverlag zusammengestellte 21-köpfige Expertenjury hat sich entschieden, Ehrenmann zu krönen. So werde jemand bezeichnet, der etwas Besonderes für einen tut.

Der Juror Dr. Oliver Bach, Literaturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, begründet das Votum so: „Es ist eine Entlehnung aus einer früheren Sprachstufe und einem anderen gesellschaftlichen Kontext. Die Jugendsprache hat dieses Wort wiederentdeckt und anders als früher ist es nicht mehr auf höhere Gesellschaftsschichten und nicht mehr auf Männer beschränkt.“

Der 18-jährige Youtuber Fabian Grischkat ist sich mit dem akademischen Fachmann einig: „,Ehrenmann/Ehrenfrau’ ist ohne jede Frage das Jugendwort 2018. Ich freue mich besonders über das Wort, da es in Zeiten von Hass und Hetze ein positives Zeichen setzt. Jeder Mensch, der eine gute Tat vollbringt, darf sich ab heute mit dem offiziellen Jugendwort schmücken!“

Wie es zu der erstaunlichen Renaissance eines Wortes kam, mit dem man lange nur noch vage historische Vorstellungen von Zylinder tragenden Duellanten verband, müsste noch genauer ermittelt werden. Sicher scheint jedoch, dass nicht die Toten Hosen mit ihrem Song „Ehrenmann“ von 1986 den Begriff in die Popkultur eingespeist haben, sondern auch hier der Jargon des deutschen Hip-Hops auf die allgemeine Jugendsprache eingewirkt hat.

Der Rapper Money Boy, dem unsere Sprache das „Jugendwort des Jahres 2011“ Swag verdankt, veröffentlichte bereits 2014 ein Lied mit dem Titel „Ehrenmann“, in dem er ironisch mit dem übersteigerten Wert des Begriffs Ehre in der deutsch Rapszene abrechnete: „Du hast keine Ehre/ Du sippst nur die Kola/ Ice sucht man vergebens/ In deiner muttergefickten Kola mein Sohn,/ so geht das nicht weiter/ Du hast keine Ehre/ Gibst keinem die Shisha/ Gibst sie nicht deinem Homie/ So was Ehrenloses hab ich nie gesehen, kann ich nicht verstehen.“

Damit war das Wort eigentlich schon erledigt, bevor es überhaupt in Schwang kam. Money Boys Dekonstruktion des Begriffs Ehrenmann war eine Reaktion auf den protzigen Gebrauch, den Bushido 2013 in seinem Disstrack „Leben und Tod des Kenneth Glöckler“ von Ehrenmann gemacht hatte: „Für meine Tochter, der ich später mal erzählen kann/Ihr Vater war ein Ehrenmann.“ Der gedisste Kay One antwortete darauf: „Macht auf guter Vater, macht hier ein’n auf Ehrenmann. Doch droht ein Ehrenmann einer schwangeren Frau Schläge an?“

Ehrenmänner gegen Keks und Lauchs

Am Tag, an dem die Einstellung der „Lindenstraße“ bekannt gegeben wird, offenbart sich dank solcher Zeilen auch einem außenstehenden Lauch, dass die erfolgreichste deutsche Serie schon lange im Hip-Hop-Milieu spielt. Es ist vermutlich ein sehr großes Missverständnis zu glauben, bei all dem ginge es um Musik. In Wirklichkeit ist Rap eine nach vielen Jahren Laufzeit immer unübersichtlicher werdende Seifenoper, in der Ehrenmänner gegen Keks und Lauchs kämpfen.

Wie auch immer. Die zwiespältige Verwendung des Wortes Ehrenmann im Zusammenhang mit Familie weist Bushido als durchaus faustischen Charakter aus. Vielleicht muss in diesem Licht sein Song „Mephisto“, die große Abrechnung mit seinem Clan-Gangster-Übervater, noch mal ganz neu interpretiert werden – von Literaturwissenschaftlern, nicht von Hip-Hop-Nerds.

Denn in Goethes Drama sagt der Doktor von sich: „Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,/ Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,/ In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,/ Mit grillenhafter Mühe sann.“ Im Grunde wünscht Bushido sich wohl, dass seine Tochter das auch mal von ihm sagt.

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Ratlose Gesichter bei vielen Erwachsenen, wenn es wieder um das Jugendwort des Jahres geht. Aber auch viele Jugendliche können mit manchen Begriffen nichts anfangen. Höchste Zeit, den Wortschatz zu erweitern.

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