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Kultur - 09.11.2018

Wer hat Macht im Kunstbetrieb?

Die Liste „Power 100“ lässt das Geschäft mit der Kunst plötzlich wieder politisch erscheinen. Frauen, Schwarze, Aktivisten gewinnen mehr Einfluss. Aber die wirklich Mächtigen fehlen doch noch. 0

Vertraut man der (nicht näher namentlich bekannten) Jury, die alljährlich im Auftrag des Magazins „Art Review“ eine Liste der hundert mächtigsten Persönlichkeiten des Kunstbetriebs veröffentlicht, dann gewinnt das Politische wieder an Einfluss. Das wäre eine gute Nachricht für die Gegenwartskunst, die mitunter orientierungslos zwischen Marktgefälligkeit und Machtlosigkeit schlingert.

Im vergangenen Jahr war bereits die deutsche Videokünstlerin und nebenberufliche Kunsttheoretikerin Hito Steyerl mit ihren formal zeitgeistigen wie inhaltlich brandaktuellen Arbeiten auf Platz 1 der „Power 100“ gewählt worden. Sie fällt 2018 nur um drei Ränge.

Auf Platz 2 folgt Kerry James Marshall. Der Afroamerikaner ist nicht nur einer der merkantil erfolgreichsten Gegenwartskünstler. Er schreibt auch an einer genuin schwarzen – in der an weißen Flächen immer noch reichen – Kunstgeschichte.

Außerdem weiß Marshall sich medial immer wieder zu platzieren. Gerade hat er den anstehenden und rekordverdächtigen Verkauf seines in der Library of Chicago hängenden Riesengemäldes beim Auktionshaus Christie’s kritisiert.

Das Los wurde von der um Sondereinnahmen bemühten Bibliothek prompt zurückgezogen. Selten widersetzen sich Künstler so aktiv wie Kerry James Marshall ihrer eigenen Kommerzialisierung. Das widerspricht sich nicht mit der Tatsache, dass er im Programm des Mega-Galeristen, Kunsthändlers und Power-100-Top-Platzierten David Zwirner vertreten ist. Macht muss man auch ausspielen wollen.

Mit der amerikanischen Unternehmerin und Mäzenin Pamela Joyner schiebt sich zudem eine der wichtigsten Sammlerinnen af(roamer)ikanischer Kunst in die Liste, mit dem Ersteintrag auf Platz 36. Ihren Einfluss nutzt sie, die bisher weniger beachteten Positionen in öffentliche Ausstellungen zu bringen. Darüber hinaus entscheidet Joyner als Board-Mitglied von Museen mit über die Ankaufspolitik der Institutionen.

Eyal Weizman vom britischen Aktivistenkollektiv Forensic Architecture steigt von einem der hintersten Ränge auf Rang 9. Er verbindet in seiner Arbeit künstlerische, wissenschaftliche und empirische Methoden. Mit einem Projekt zu terroristischen Attentaten wurde er auf der Biennale von Venedig schlagartig bekannt. Forensic Architecture hat auch schon zu den NSU-Morden ermittelt.

Aus dem Wust forensischer Daten zieht Weizman mitunter ebenso wüste Schlüsse, aber er hat den politischen Anspruch dezidiert in die Kunstwirklichkeit zurückgebracht und ist damit in diesem Jahr auch ein Anwärter auf den bedeutenden Turner-Preis, den die Londoner Tate Gallery verleiht.

Nan Goldin, seit vielen Jahren bekannt als Fotografin der eigenen Exzesse wie der ihrer Freunde, ist ebenfalls auf die Seite der Aktivisten gewechselt. Sie hat sich mit der Familie Sackler angelegt, die in den Vereinigten Staaten zu den wichtigsten Kunstmäzenen gehört, die ganze Museumsflügel benennen darf.

Ihr Engagement finanziert die Familie aber auch aus den Einnahmen des Verkaufs von Schmerzmitteln finanziert, die Millionen von Amerikanern zu Opioidabhängigen gemacht haben. Der Sänger Prince war wohl das bekannteste Opfer der Drogenepidemie.

Auch Goldin war süchtig. Sie wurde zum Kopf einer Protestbewegung und besetzte mit einem Flashmob den Sackler Wing im Metropolitan Museum. Zurzeit verkauft sie signierte Fotoprints für den Kampfpreis von hundert Dollar, um die Opfer zu unterstützen.

Dass es #MeToo, als höchster Neueinsteiger auf Nummer 3, ebenfalls auf die Liste geschafft hat, ist verständlich. Auch im Kunstbetrieb mussten schließlich viele Männer ihre hohen Posten verlassen. Doch wenn nun auch Nichtpersonen Einlass finden, vermisst man die wirklich einflussreichen Phänomene im Kunstwesen: Auf welche Plätze kämen wohl Geltungssucht, Steuerhinterziehung oder Geldwäsche?

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